Eintrag von: Abracadabra - geschrieben am: 31.01.2003 - 09:24 Uhr
Titel: Wintergedichte Der Winter hat sich angefangen,
der Schnee bedeckt das ganze Land,
der Sommer ist hinweggegangen,
der Wald hat sich in Reif verwandt.
Die Wiesen sind vom Frost versehret,
die Felder glänzen wie Metall,
die Blumen sind in Eis verkehret,
die Flüsse stehn wie harter Stahl.
Wohlan, wir wollen wieder von uns jagen
durchs Feuer das kalte Winterleid!
Kommt, laßt uns Holz zum Herde tragen
und Kohlen dran, jetzt ist es dran.
(Johann Rist)
Im Schnee
Wie naht das finster türmende
Gewölk so schwarz und schwer!
Wie jagt der Wind, der stürmende,
Das Schneegestöber her!
Verschwunden ist die blühende
Und grüne Weltgestalt;
Es eilt der Fuss, der fliehende,
Im Schneefeld nass und kalt.
Wohl dem, der nun zufrieden ist
Und innerlich sich kennt!
Dem warm ein Herz beschieden ist,
Das heimlich loht und brennt!
Wo, traulich sich dran schmiegend, es
Die wache Seele schürt,
Ein perlend, nie versiegendes
Gedankenbrauwerk rührt!
(Gottfried Keller)
Föhn
Blinde Klage im Wind, mondäne Wintertage,
Kindheit, leise verhallen die Schritte an schwarzer Hecke, langes
Abendgeläut.
Leise kommt die weiße Nacht gezogen, verwandelt in purpurne
Träume Schmerz und Plage des steinigen Lebens,
Dass nimmer der dornige Stachel ablasse vom verwesenden Leib.
Tief im Schlummer aufseufzt die bange Seele.
Tief der Wind in zerbrochenen Bäumen, und es schwankt die
Klagegestalt
Der Mutter durch den einsamen Wald dieser schweigenden Trauer;
Nächte, erfüllt von Tränen, feurigen Engeln.
Silbern zerschellt an kahler Mauer ein kindlich Gerippe.
(Georg Trakl)
Vorgefühl
Es ist ein Schnee gefallen,
hat alles Graue zugedeckt,
die Bäume nur gen Himmel nicht;
bald trinkt den Schnee das Sonnenlicht,
dann wird das alles blühen,
was in der harten Krume jetzt
kaum Wurzeln streckt.
(Richard Dehmel)
Wenn man auch allen Sonnenschein wegstreicht,
so gibt es doch noch den Mond und die Sterne
und die Lampe am Winterabend.
Es ist so viel schönes Licht in der Welt.
(Wilhelm Raabe)
Auf den eisbedeckten Scheiben
fängt im Morgensonnenlichte
Blum und Scholle an zu treiben...
Löst in diamantnen Tränen
ihren Frost und ihre Dichte,
rinnt herab in Perlensträhnen...
Herz, o Herz, nach langem Wähnen
laß auch deines Glücks Geschichte
diamantne Tränen schreiben!
(Christian Morgenstern)
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